Über 2.000 Befragte: Die gespaltene Alpenrepublik - Corona als neue Bruchlinie - Orientierungslosigkeit nimmt deutlich zu
Rund drei von fünf Österreichern haben den Eindruck, nicht mehr ganz sicher zu sein, was richtig und falsch in Politik, Wirtschaft und in allgemeinen Lebensfragen ist (voll und ganz / einigermaßen). Tendenz steigend: Plus sechs Prozentpunkte (voll und ganz) seit 2018! Nur zehn Prozent haben in dieser Fragestellungeine klare Orientierung.
Mehr als die Hälfte der Österreicher stimmt der Aussage, dass Österreich in politischer Hinsicht ein gespaltenes Land sei und sich deutliche Gegensätze in der Bevölkerung auftun würden, zumindest einigermaßen zu. Jeder Vierte ist ausdrücklich – also "voll und ganz" – dieser Meinung und rund sieben Prozent äußern die diametral gegenteilige Meinung und sehen überhaupt keine Spaltung der Gesellschaft. Im Trend seit 2016 nimmt die Einschätzung einer Spaltung zu, wiederum sind es sechs Prozentpunkte mehr in der sogenannten Top-Box.
Kernbruchlinien der Gesellschaft sind die Themen Corona-Maßnahmen und die Fragen der Zuwanderung und Integration.
Die Diskussionen rund um die Corona-Maßnahmen haben mehr als drei Fünftel wahrgenommen, jeder zweite Österreicher geht davon aus, dass die Bevölkerung nach der Krise in diesem Thema wieder zusammenfindet. Ein Viertel glaubt nicht an diese Versöhnung.
Kernaussage des aktuellen demoskopischen Befunds des IMAS Forschungsstabs: Eine grundlegende Orientierung zu wesentlichen Fragen des Zusammenlebens fehlt in breiten Teilen der Bevölkerung, sprich die Bevölkerung hat keinen eindeutigen Blick mehr auf Lösungsansätze und die darüber liegende Übersicht. Im Detail: 25 Prozent der Befragten bestätigen diese Orientierungslosigkeit "voll und ganz", weitere 35 Prozent sind davon zumindest "einigermaßen" überzeugt. Der Gegenpol liegt bei 28 Prozent (18 "stimme eher nicht zu" und 10 Prozent "stimme überhaupt nicht zu") und ergibt somit in den äußersten Antworten ein Verhältnis von 25 zu 10. Zudem kann man insgesamt von einer Zunahme der Orientierungslosigkeit in der Gesellschaft sprechen. Interessantes Detail: Es zeigt sich nur ein leichtes Alters- und Bildungsgefälle.
Nach den letzten Bundespräsidentenstichwahlen 2016 in Österreich wurde immer wieder die Sorgeüber eine starke politische Kluft in der Bevölkerung geäußert. Manche Medien sprachen sogar von einem Präsidenten für die "halbe" Republik. Bereits damals ging der IMAS Forschungsstab der Fragenach dem "geteilten Land" demoskopisch auf den Grund. Die Ergebnisse zeigten, dass damals ein großer Teil der Bevölkerung (2016: knapp zwei Fünftel) den Eindruck der politischen Spaltung hatte. Seit dieser Nullmessung wurde diese Studie nun im Mai / Juni / Juli dieses Jahres zum vierten Mal durchgeführt.
Der aktuelle Befund sichert die bisherigen Ergebnisse noch einmal ab, lässt aber den Eindruck einer gespaltenen Nation noch stärker zu: Mehr als die Hälfte stimmt der Aussage, dass Österreich in politischer Hinsicht ein gespaltenes Land sei und sich deutliche Gegensätze in der Bevölkerung auftun würden, zumindest einigermaßen zu. Dies ist die höchste Zustimmungsrate zu dieser Aussage seit 2016.
Genau genommen sind es 25 Prozent, die diese Auffassung voll und ganz vertreten. Rund sieben Prozent äußern die völlig gegenteilige Meinung und sehen überhaupt keine Spaltung. Menschen mitformell einfacherer Bildung sind sich überdurchschnittlich stark in ihrem Eindruck über eine politisch gespaltene Alpenrepublik sicher.
Als stärkste Bruchlinie in Bezug auf die Spaltung galt bislang die Zuwanderungsthematik inklusive Integration und Flüchtlingskrise. 2019 äußerte jeder Zweite, der eine Spaltung zumindest einigermaßen stark empfindet, spontan dieses Thema. Im aktuellen Befund zeigt sich aber eindeutig, dass die Corona-Pandemie nun den größten Spaltpilz darstellt, mit 63 Prozent äußert diese Gruppe dort den größten gesellschaftlichen Widerspruch. Die Frage der Zuwanderung, Integration usw. nimmt weiterhin kontinuierlich ab und ist im Vergleich zu 2016 nun halbiert.
In einer gestützten Abfrage unter allen Befragten bestätigt sich dieses spontane Bild zum Teil: Die Corona-Maßnahmen und die Zuwanderungsthematik sind hierbei die größten Bruchlinien, aber in dieser Abfrage nahezu gleich auf. Danach folgen Aspekte wie der Umgang mit unterschiedlichen Religionen und die Verwendung von Steuereinnahmen.
Dokumentation
Zeitraum der Umfragen: 12. Mai – 7. Juni / 9. Juni – 4. Juli 2021
Sample: n=2.010 Personen, statistisch repräsentativ für die österreichische Bevölkerung ab 16 Jahren, Quotaauswahl, face-to-face
Archiv-Nummern der Umfragen: 021051 / 021061
Vollständiger Report mit zusätzlichen Charts
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